2010 reiste ich an’s Ende der Welt, auf eine geheimnisvolle Insel mit den vielen verschiedenen Gesichtern mitten im Ozean, welche aufgrund ihrer geologischen Beschaffung zu einer der am spätesten besiedelten Regionen der Welt darstellte. In das Land der langen weißen Wolke: Neuseeland (englisch: New Zealand, maori: Aotearoa).
Kurz nachdem das Projekt “Cinema Jenin” beendet war, packte ich mein Equipment neu und flog mit einem kurzen Zwischenhalt in Sydney, Australien, in die größte Stadt Neuseelands, nach Auckland. Auckland war bis 1862 die Hauptstadt Neuseelands . Heute leben hier ca. ⅓ der 4 Millionen Menschen des Landes. Neuseeland ist mit einer Landfläche von 268.680 qkm etwas kleiner als Italien, aber größer als UK. Es besteht aus mehr als 700 kleineren Inseln, der Nord- und Südinsel, sowie Stewart Island. Die grüne Insel, trägt diesen Namen nicht ohne Grund, denn die Inseln sind sehr dünn besiedelt und weisen durch die isolierte Lage eine einzigartige Vegetation und Naturvielfalt auf. So gab es auf Neuseeland, bevor die ersten Menschen das Land betraten, keine Landsäugetiere bis auf drei Fledermausarten.
Es war Anfang Frühling im Oktober auf der Nordinsel, ich bereitete alles auf den Trip vor: Ich plante eine ungefähre Strecke, kaufte mir ein Mountainbike, sowie weiteres Campingzubehör und verstaute dies samt meinem Zelt von Terra Nova auf meinem mitgebrachten Bob Ibex Anhänger. Die Radtour meines Lebens sollte nun beginnen: etwa 3.700km, gute 6 Monate, 2 Inseln, ein Mountainbike mit Anhänger bei Wind und Wetter. Auf ging’s!
Von Auckland aus ging es über Clevedon und Thames nach Rotorua, ein Ort mit himmelhohen Geysiren, heißen Quellen und blubbernden Schlammlöchern. Von dort aus ging es zum größten See des Landes, dem Lake Taupo. Ich fuhr entlang des Tongariro-Nationalparks, welcher der älteste Nationalpark Neuseelands und bekannt aus “Herr der Ringe” ist, sowieso zum UNESCO Weltkultur- und Weltnaturerbe gehört. Fern von jeglicher Zivilisation ging es über die Wanganui-River-Road nach Wanganui, von dort über Palmerston North in die Hauptstadt von Neuseeland, nach Wellington. Mit der Fähre setzt man nach Picton auf der Südinsel über.
Weihnachten feierte man bei sommerlichen Temperaturen. Ich fuhr über Havelock nach Nelson und verpasste knapp einen Erdrutsch, der die komplette Strasse mit hunderten Nadelbäumen verdeckte. In der Nähe von Nelson wurde ich von sehr netten Neuseeländern zu Silvester eingeladen und verbrachte mit ihnen und ihren Freunden sehr schöne entspannte Tage im Sommer. Es ging weiter Richtung Süden, entlang an der Westküste über Westport, Greymouth, Hokitika, vorbei an den Franz Josef und Fox Gletschern bis nach Haast. Ich überquerte den südlichsten Pass des Landes, den Haast Pass, welcher nach dem ersten Europäer benannt ist, der ihn als erstes bezwang: der deutsche Geologe und Naturforscher Johann Franz Julius Haast. Kaum zu glauben, dass diese kurvige Strasse erst seit 1965 dem öffentlichen Verkehr frei steht. Es ging über Wanaka nach Queenstown und von dort setzt ich mit einem Dampfschiff nach Walter Peak über. Nur Motorrädern, Fußgängern und Fahrrädern ist die Überfahrt gestattet. Weit weg von der Zivilisation fuhr ich auf Kieselstrassen an den Mavora Lakes vorbei bis nach Te Anau. Natürlich durfte ein Ausflug in den Fiordland-Nationalpark zum Milford Sound hier nicht fehlen. Die Reise war aber nicht vorbei.
Es ging immer weiter Richtung Süden, vorbei an Riverton und Invercargill bis zum südlichsten Punkt der Südinsel: Slope Point. Von hier aus wären es nur noch 4.803km bis zum Südpol. Es ging weiter durch die Catlins: ein zerklüftetes, sehr dünn besiedeltes Gebiet mit malerischen Küstenlandschaften und dichtem Regenwald. Auf dem Weg nach Dunedin, wo ich meine Sponsoren “R’n’R Sports” (heute: Torpedo7) traf, kam ich am Nugget Point vorbei. Dies ist ein Kap in der Region Otago, welches von mehreren Felsen, den „Nuggets“, umgeben ist. Von Dunedin ging es schließlich nach Christchurch, welches durch ein schweres Erdbeben von 6,3 Mw 2011 erschüttert wurde. Dort verbrachte ich einige Wochen mit guten Freunden und bereitete meine Rückreise vor.
Die Radtour meines Lebens schenke mir unvergessliche Erlebnisse. Ich fuhr entlang weitläufiger Strände, meterhohen Wasserfällen und einzigartigen Schwefelseen, tausenden Schafen und saftigen Weidewiesen, über einspurige Brücken, die von Fußgängern, Autos, Schafen und Fahrradfahrern und Zügen gleichermaßen genutzt wurden -in beide Richtungen natürlich-, durch steppenartige Landschaften, Regenwälder und subtropischen Gegenden und entlang der neuseeländischen Alpen mit ihren imposanten Gletschern ging es bei Gegenwind, heftigem Regen und brennender Sonne. Die Muskeln schmerzten bei den kilometerlangen Tagestouren mit teils mehr als 60kg auf dem Anhänger, die ebenfalls bewegt werden mussten, Berg auf, Berg ab und durch die beeindruckensten Landschaften, die ich jemals gesehen habe. Die Tierwelt fand ich ebenfalls sehr faszinierend. Sei es die cleveren Piraten der Lüfte, Keas, die neugierigen Toastbrot-Diebe, Weka, oder die seltenen Kiwivögel. Unvergesslich war die überschwengliche Gastfreundschaft der Neuseeländer: Ich wurde sprichwörtlich von der Strasse weg zu den Leuten nach hause eingeladen. Menschen, die mich kaum kannten luden mich in deren Häuser ein und liesen mich noch tiefer in die neuseeländische Mentalität blicken.
Ich beobachtete Pinguine, wie sie in freier Wildbahn aus dem Meer auftauchten und den Strand hoch watschelten, prallte fast mit einem Seelöwen auf dem Campingplatz zusammen oder machte beinah Yogaübungen, um eine mir völlig unbekannte Spinnenart in einem verlassenen Schuppen zu fotografieren. Ich sah wie wilde Seebärenmännchen mit einander nur wenige Meter von mir entfernt kämpften, fuhr mitten durch eine Schafsherde und vorbei an tonnenschweren Bullen, die misstrauisch dreinblickten. Die Belohnung jeden Abend war ein so klarer und weiter Sternenhimmel, wie ich ihn noch nie gesehen habe.