Einmal im Jahr herrscht auf der beschaulichen Insel Chios in der Ostägäis der Ausnahmezustand. Chios liegt östlich von Athen, westlich der Türkei, ist die fünftgrößte griechische Insel und somit die zehntgrößte im Mittelmeer. Die Bewohner der Stadt Vrontados bereiten sich auf den Krieg vor. Fenster und Türen werden barrikadiert, Häuser mit Drahtgittern vor den bevorstehenden Kravallen abgedeckt.
Jedes Jahr am Abend des Ostersamstags bereitet sich die Stadt auf den Rouketopolemos (Griechisch Рουκετοπόλεμος) den wortwörtlich Raketenkrieg vor. Die Bewohner, deren Häuser am nächsten zu den zwei Kirchen Panagia Erithiani, die heilige Jungfrau Maria, und Agios Markos, der heilige Markus stehen, befinden müssen ihre Häuser gegen die 60.000 bis 80.000 Feuerwerksraketen schützen, die von Gruppen der zwei größten Kirchengemeinden der Stadt auf die Gebäude gefeuert werden. Die Kommunen bekämpfen sich in einem symbolischen Feuerkrieg, dessen Herkunft nicht ganz sicher ist. Es gibt verschiedene Legenden zum Ursprung des Brauches: Eine besagt, dass die osmanische Besatzung den Bewohnern ihr traditionelles Osterfest verbieten wollte. Die Christen der Kirchen Panagia Erithiani und Agios Markos entschieden sich die Osmanen mit einem Scheinkrieg zu täuschen um die Belagerer fern zu halten. Echte Kanonen wurden bis 1889 zu dem Spektakel benutzt bis sie von der türkischen Ottman-Regierung verboten wurden. Danach bastelten sich die gewitzten Inselbewohner einfach ihre eigenen Raketen. Tatsächlich waren die Türken so eingeschüchtert von dem Lärm, der Feuerschneise und den Kanonen/Raketen, dass sie einen Sicherheitsabstand hielten während die Gemeinden ihr traditionelles Osterfestes weiter wie gewohnt zelebrieren konnten.
Chios gehört seit 1913 offiziell zu Griechenland und bräuchte daher den Scheinkrieg nicht mehr durchzuführen, aber er hatte sich mittlerweile zu einer Tradition und einem sozialen Ereignis entwickelt und etabliert. Heutzutage besteht das Ziel der gegnerischen Parteien darin die jeweils andere Kirchenglocke mit einer Rakete zu treffen und jedes Jahr nachdem der “Rocket War” vorüber ist, beansprucht jede der Gemeinden den Sieg für sich und sie einigen sich jedes Mal auf’s neue sich uneinig zu sein, wer nun tatsächlich als erstes die Glocke der jeweils anderen Kirche zu erst getroffen hat. Einige Bewohner, speziell die Besitzer der, der Kirche am nähesten liegenden Häuser, zeigen ihr Unbehagen bezüglich der explosiven Natur dieser Tradition, da an den umliegenden Gebäuden einiger Schaden durch die schnellen, selbst gebauten Geschosse entsteht. Der Tourismus steht bei diesem Event nicht an erster Stelle. Für die Bewohner der Stadt und der ganzen Insel ist es eine spaßige Angelegenheit und ist eher ein freudiges Zusammensein mit Feuerwerk, Musik und Grillen.
Als ich 2014 dort war, wurde mir berichtet, dass über 75.000 Raketen seit Mitte des Vorjahres gebaut worden waren. Die Menschen der Stadt waren sehr freundlich und luden mich ein mit ihnen zu lachen, feiern, essen und trinken. Einer der Teilnehmer sagte mir: “Um 19:30 Uhr starten wir mit einigen Testläufen und um 20 Uhr brennen wir den ganzen verdammten Platz nieder”. Oh, wie Recht er hatte! Es war ein Schauspiel, was seines Gleichen sucht! Tausende von Raketen schossen quer durch den Nachthimmel, es roch nach Schießpulver und war ein unglaublicher Anblick.
Zahlen
Weiterführende Links
Webseite des Rocketwar: www.rocketwar.com
Wikipedia Eintrag: https://de.wikipedia.org/wiki/Raketenkrieg_von_Chios